Das Wetter im Herbst bleibt wechselhaft. Immer wieder strömt feuchte Luft aus dem Süden in den Alpenraum, und so entscheide ich mich, in die Lärchensaison ins untere Wallis aufzubrechen. Hoffentlich bin ich dieses Jahr nicht zu spät.
Viel früher als in den vergangenen Jahren beginnt das Gelbwerden der ersten Lärchen – geschätzt ein bis zwei Wochen früher. Dazu weht ein starker Wind, der die Nadeln schnell fallen lässt. Ich bin gespannt, was mich erwartet. Kurz nach Mitternacht mache ich mich auf den Weg ins Wallis. Eigentlich wollte ich vorher noch tanken, doch erst an der vierten Tankstelle im Greyerz finde ich eine offene.
Jetzt ist das Auto vollgetankt, und ich fahre ins erste Seitental. Es ist noch dunkel, und ich bin ganz allein. Nach dem Parken starte ich die kurze, steile Wanderung. Das Mondlicht ersetzt meine Stirnlampe, während ich langsam den Hang hinauf trotte. Im letzten Licht des Vollmonds halte ich zur Dämmerung das erste Foto fest. Was für eine Stimmung! Doch je näher der Sonnenaufgang rückt, desto mehr Wolken ziehen auf, und ab und zu regnet es leicht. Ein magischer Sonnenaufgang bleibt aus, also erkunde ich die Umgebung und geniesse einen Kaffee im Bistro. Jetzt plane ich den Abend und den nächsten Tag. Die Wetteraussichten im oberen Wallis sind wenig vielversprechend; die Wolken aus dem Süden bringen Regen und Schnee. Daher beschliesse ich, den Abend in der Gegend zu verbringen.
Die Fahrt zu meinem neuen Ziel gestaltet sich als kleine Herausforderung. Die Strassen sind eng, und der rege Verkehr sorgt für viele Kreuzungssituationen. An einer Wartebucht lasse ich einem entgegenkommenden Auto den Vortritt. Doch ein Zeitgenosse hinter mir überholt mich und blockiert den Verkehr. Oh mein Gott, was für ein Depp.
Ich stehe nun am Wasserlauf mit meiner Bildidee im Kopf. Vor einigen Jahren war ich schon einmal hier und freue mich zu sehen, wie sich die Gegend verändert hat. Auffällig ist, dass nun viele Tagesausflügler kommen. Der Ort hat an Anziehungskraft gewonnen und wird neu touristisch beworben. Ich stelle mein Stativ auf und suche einen guten Bildausschnitt. Kurz darauf nähert sich eine Gruppe Fotografen und stellt sich direkt vor meine Kamera. Ohne zu fragen oder mit mir zu kommunizieren – für sie eine Selbstverständlichkeit. Es geht nicht darum, dass mir der Ort alleine gehört, sondern um Respekt und Anstand. So verhält man sich nicht unter Gleichgesinnten. Doch der Zeitgeist dieser Personen scheint sehr ich-bezogen zu sein.
Schon früh zeichnet sich ein schöner Abend ab, und ich bin gespannt, was kommt. Im Westen ist die Wolkenfront abrupt zu Ende. Als die Sonne hinter der Front auftaucht, gewinnt die zuvor graue Wolkendecke an Struktur und Kontrast. Zum Sonnenuntergang erstrahlt der Himmel in kräftigen Farben. Was für ein Glück, hier zu sein! In der Dämmerung gehe ich zurück und mache noch ein paar Fotos. Zurück beim Auto steht erneut die Planung auf der Agenda. Die beste Option ist, hier zu bleiben.
Am nächsten Morgen stehe ich erneut an der gleichen Stelle wie am ersten Morgen und staune über die vielen Autos auf dem Parkplatz. Oben am See entdecke ich das erste Zelt. Das habe ich hier oben noch nie gesehen. Während ich um den See gehe, zähle ich mehr als zehn Zelte, obwohl hier neuerdings ein Wild-Campingverbot herrscht.
In der Dämmerung ahne ich, dass das Licht aus dem Westen vielversprechend sein könnte, und gehe zu einem zuvor erkundeten Platz. Nach und nach treffen weitere Personen am See ein. Mein Glück will es, dass sich ein Fotograf direkt vor mir positionieren möchte. Das bringt mich fast zur Verzweiflung. Ich weise ihn höflich darauf hin, sich neben mich zu stellen. Das ist wohl das Ärgernis an den Hotspots… Er stellt sich schräg hinter mir auf und verlässt bald darauf den Platz, um seine Drohne steigen zu lassen. Wie erwartet, wird der Sonnenaufgang kitschig schön. Erneut gelingt es mir, eine wunderbare Szene festzuhalten, und ich mache mich kurz darauf auf den Rückweg zum Auto. Neben Schlafen, Essen und Fotografieren ist das Planen gerade meine Hauptbeschäftigung.
Ich entscheide mich für einen Talwechsel und fahre zwei Stunden weiter in ein anderes Tal mit Lärchen. Die Wolkenprognose für den Abend sieht optimal aus. Ausserdem habe ich die Hotspots leid und freue mich über die unendlichen Möglichkeiten in diesem Tal. Mit viel Gepäck mache ich mich am frühen Nachmittag auf den Weg. Ich war in den letzten Jahren oft hier und suche nun nach etwas Neuem. Ich überquere ein paar Bäche und finde einen spannenden Ort, der mir gefällt. Rucksack ablegen, Stativ als Sonnenschutz aufstellen und ab zu einem Nickerchen.
Ich lasse das letzte Sonnenlicht auf mein Gesicht scheinen, bevor ich mich an die Arbeit mache. Ich habe einige Lärchen im Vordergrund entdeckt, die schön mit der Gelände-Abstufung zum Flusslauf harmonieren. Die Sonne geht früh hinter dem hohen Horizont unter, und ich bin gespannt, ob das letzte Abendlicht etwas bringt. Plötzlich – Boom! Zarte Farben am Himmel lassen die filigranen Lärchennadeln aufleuchten. Der Himmel erstrahlt in Gelb, Rot und Rosa. Erfüllt und müde mache ich mich auf den Rückweg. Ich beschliesse, nach Hause zu fahren, denn das Glück war die letzten zwei Tage mit mir. Bis zum nächsten Mal!
Leave a reply