Heute werde ich mich endlich dem ersten Munro, dem An Teallach mit 1.062 Metern, stellen. Die Wanderung dorthin wird jedoch etwas anspruchsvoller sein. Meine Beine fühlen sich immer noch von den vergangenen Tagen müde an. Zusätzlich scheint mein Rucksack auch nicht leichter geworden zu sein, vor allem wegen der Aperitif, die ich heute eingepackt habe und scheinbar das Vielfache an Gewicht hat.
An Teallach
Vom Hotelparkplatz aus, da die anderen besetzt sind, geht es los. Dieser Trail scheint sehr beliebt zu sein, da so viele Autos in dieser abgelegenen Gegend geparkt sind. Die ersten hundert Höhenmeter sind eine Qual, nicht nur für meinen Körper. Ich kann es nicht ausstehen, auf langweiligen Pfaden zu wandern, und zuerst führt der Weg über ein ausgewaschenes Feld. Ich setze mich oft hin und frage mich, was ich hier tue. Eigentlich könnte ich umkehren, einen schönen Abend verbringen und einfach nichts tun. Aber nach dem gestrigen Erlebnis mit dem wunderschönen Sonnenaufgang und der Möglichkeit, den ersten Munro zu besteigen, zieht es mich immer wieder nach oben. So geht es weiter durch sumpfiges Gebiet, und bald laufe ich durch ein malerisches Tal mit einem klaren Fluss. Mein heute gekaufter Sonnenhut erfüllt heute seinen Zweck und schützt mich vor der intensiven Sonne. Im Gegensatz zu Hause ist das Wetter hier oft sehr schön. Die Sonne scheint lange und intensiv, daran hatte ich zu Hause nicht gedacht, genauso wenig wie bei meiner Abreise vor ein paar Tagen in Edinburgh.
Nach etwa drei Stunden erreiche ich mein Basecamp und schlage mein Zelt auf. Die Matratze nehme ich nach draußen und genieße die angenehme Atmosphäre im Gras. Ah, so können Ferien auch sein. Nach und nach ziehen Wolken vom Meer her in die Berge. Ich möchte heute noch den höchsten Punkt erreichen, also ziehe ich meine Wanderschuhe erneut an. Mit müden Füssen erklimme ich den letzten Hang auf 1.062 Metern. Die Aussicht von hier oben ist grossartig – ich blicke in den Talkessel, aufs Meer und über steile Klippen hinab. Das Abendlicht färbt die ovalen Sandsteine rötlicher als am Tag. Doch kurz vor dem Höhepunkt verschwindet die Sonne hinter dem Wolkenband über dem Meer. Ich sitze hier oben, wie eingangs des ersten Blogs erwähnt, und frage mich, was ich alleine hier mache. Es ist genau dieser Moment – die Stille, das Licht, der Augenblick, den ich geniessen darf. Abseits von jeglicher Hektik inmitten der Natur.
Nun aber erst einmal hinunter und das Bier geniessen, das mir den Aufstieg etwas erschwert hat. Da sich das Basecamp ziemlich weit unterhalb des Gipfels befindet, muss ich früh aufstehen, um den Sonnenaufgang zu erleben. Für morgen erwarte ich ein Wetterphänomen mit niedrigen und hohen Wolken. Also gute Nacht, wir werden es morgen sehen.
Halbschlafend im Aufstieg schaue ich auf das Wolkenmeer. Wie vorhergesagt liegt eine Inversionswetterlage vor. Die oberen Luftschichten sind wärmer als die unteren, und es bildet sich eine Bodennebeldecke. Am Himmel sammeln sich die ersten Schleierwolken, die sich zum Sonnenaufgang langsam verfärben. Als die Sonne mein Gesicht erwärmt, werden die umliegenden Berggipfel von ihr angestrahlt und leuchten. Ich geniesse die steigende Temperatur und das Spiel der Wolken um mich herum. Es ist erst fünf Uhr, also mache ich später mein Frühstück. Mit müden Augen mache ich mich kurz darauf auf den Rückweg zum Auto. Der Marsch fühlt sich wie eine Ewigkeit an, der Pfad will nicht enden. Der erste Munro ist nun erklommen, aber auch mein Körper ist erschöpft. Am Auto buche ich kurzfristig ein Bed & Breakfast auf dem Weg in den Süden. Ich bin zu müde und ausgelaugt, um heute nochmals mit dem Zelt in die Höhe zu steigen. Der Zufall will es, dass für heute Nacht Regen angekündigt ist, was meine Entscheidung, eine Pause einzulegen, erleichtert.
Beinn Alligin
Ich fahre an diesem windigen Tag entlang des Loch Maree, einem lang gezogenen See mit viel Wald drum herum. Die einspurige Strasse nach Torridon ist traumhaft. Ich erwarte dort ein Dorf, doch es entpuppt sich als Ort mit wenigen verstreuten Häusern. Der Parkplatz ist fast vollständig besetzt, aber ich ergattere noch den letzten Platz. Regen prasselt auf die Windschutzscheibe, daher hält sich meine Lust, den Beinn Alligin zu besteigen, in Grenzen. Ich mache ein kurzes Nickerchen, bis endlich die Sonne hervorkommt. Mit der Sonne kommen auch kleine Stechmücken, die mich schnell los treiben.
Der Aufstieg ist von Anfang an steil und der Schluss führt durch ein Couloir nach oben. Der Wind ist heute heftig und ich kämpfe gegen die starken Seitenwinde an, die mich mit der grossen Angriffsfläche meines Rucksacks fast umhauen. So komme ich am Ende nur wenige Meter pro Ruhepause vorwärts. Aber hey, hier ist der zweite Munro in Reichweite. Der Beinn Alligin ist ein bis zu 986 Meter hohes Bergmassiv.
Das Zelt auf der Hochebene neben dem Gipfel aufzustellen, erweist sich als fast unmögliches Unterfangen. Ich befestige die Leinen an meinem Körper, damit das Zelt im Notfall nicht über die Klippe verschwindet. Endlich habe ich mein Zelt am Boden fest verankert und mit Steinen beschwert, da setzt der nächste Regenguss ein. Ich lege mich hin, bis der Regen vorbei ist. Ich packe meine Kamera und gehe den kurzen Weg zum Gipfel. Vor mir liegt steiles Terrain und Klippen, die in die Tiefe führen. Ich muss aufpassen, wo ich hinsteige. Das Licht um mich herum ändert sich schnell. Die nächste Welle von Wolken bringt Schnee und Graupel. Als sich das Schauspiel lichtet, kommt die Abendstimmung so richtig in Fahrt. Die Wolken sind dramatisch und ziehen schnell vorbei. Ich habe nur wenige Minuten Zeit, danach verschluckt der Nebel die ganze Sicht. Mit erneut einsetzendem Schnee und keiner Sicht gehe ich zurück ins Zelt – Essen und schlafen.
In der Nacht fällt noch mehr Schnee und ich sitze immer noch im Nebel. Dieser schluckt alle Geräusche und es ist mucksmäuschenstill um mich herum. Nur der Wind rüttelt am Zelt. Ich packe etwas verschlafen meine Sachen und gehe so schnell wie möglich hinunter, die Kaffeekanne ist im Auto und ich möchte jetzt nichts mehr als einen frischen Kaffee.
Isle of Skye
Mir wird langsam bewusst, dass die Reise im Nordwesten hier endet und es weiter in die touristische Region Isle of Skye geht. Eigentlich habe ich mich darauf sehr gefreut. Doch als ich über die Skye-Brücke fahre und meinen Fuss auf die Insel setze, ändert sich die Stimmung. Touristen so weit das Auge reicht, vermutlich mehr Bed & Breakfasts als Schafe. Ich mache es mir auf einem Zeltplatz in Portree gemütlich. Mit der Rückkehr in die Zivilisation merke ich, das ich etwa mehr Geruch verbreite als andere Personen – ab unter die Dusche. Hier habe ich die Möglichkeit, meine Kleidung zu waschen, was dringend nötig ist.
Am Abend gehe ich zum Old Man of Storr, einer 48 Meter hohen Felsnadel, die das Wahrzeichen der Isle of Skye ist. Der Parkplatz kostet jetzt Geld und der 45-minütige Aufstieg führt über einen breiten Weg, auf dem man fast mit einem Auto fahren könnte. Die vielen Touristen an diesen Orten hinterlassen ihre Spuren, überall gibt es gesperrte Flächen, die renaturiert werden. Zu dieser Tageszeit gibt es aber nur noch wenige Touristen. Hinzu kommt, dass es ab und zu nieselt. Zu meinem Glück ist das Abendlicht zauberhaft und die Wolken hinter der Nadel bringen sie zum Leuchten. Ich kann mein Glück kaum fassen, dass ich hier einen so schönen Abend ohne grosse Touristenmassen erleben darf. Nun aber schnell zurück zum Campingplatz, das Tor schliesst bereits um 22 Uhr.
Heute geht es weiter in eine andere Ecke der Insel. Ich habe mir den Campingplatz in Glenbrittle ausgesucht, nahe den bekannten Fairy Pools. Bevor ich jedoch Portree verlasse, kaufe ich mir für die nächsten Tage noch Gummistiefel und gönne mir eine Pizza aus dem Holzofen. Gestärkt mache ich mich auf den Weg zum Campingplatz. Die Fahrt ist unangenehm, die einspurige Strasse mit den vielen Touristen fordert meine Nerven.
Die Aussicht von meinem Zeltplatz auf das Meer aus ist einfach grossartig. Die Zeit vertreibe ich mir mit ein paar Getränke im Lokalen Kaffee. Die Cuillin Hills, die hinter dem Campingplatz beginnen, sind leider in den Wolken. Das Wetter ist nicht mehr so gut wie in den letzten Tagen, daher kann ich momentan nicht mehr in die Berge.
Am Abend unternehme ich einen Ausflug zu den nahen Fairy Pools. Die Menschenmasse ist bereits auf dem Rückweg, daher habe ich den gesamten Bach praktisch für mich allein. An der tiefsten Stelle ziehe ich meine Schuhe aus und gehe barfuss ins kalte Wasser. Es ist so klar, dass der Grund gut sichtbar ist. Es gibt auch nicht so viel Wasser, die Wasserfälle sind eher klein, daher muss ich mich für gute Kompositionen richtig anstrengen. Mit Einbruch der Dämmerung kehre ich zum Zeltplatz zurück. Morgen früh will ich weiterreisen, Glencoe steht auf dem Programm.
Glencoe
Nach einer längeren Fahrt erreiche ich Glencoe. Das schlechte Wetter zwingt mich dazu, drinnen zu bleiben. Ich habe in der Jugendherberge ein Bett reserviert und geniesse die Gemeinschaft im Trockenen. Endlich kann ich wieder etwas auf dem Herd kochen und den Abend geniessen. Aufgrund des schlechten Wetters nutze ich die Check-out-Zeit bis zur letzten Minute aus und mache mich dann auf den Weg. Ich erkunde die Wasserläufe und entdecke Schluchten und kleine Wasserfälle. Auch hier ist der Wasserpegel eher niedrig und es gibt keine bekannten grossen Wasserfälle. Ich treffe zwei ältere Fotografen und unterhalte mich mit ihnen. Die beiden sind sehr pessimistisch und lachen mich aus, als ich von meinen Plänen für den nächsten Morgen erzähle. Ich selbst sehe eine große Chance, dass der Regen am frühen Morgen aufhört und die Morgenstimmung zum Fotografieren einlädt. Wir werden sehen, wer recht hat.
Heute übernachte ich am anderen Ende des Glens in Tyndrum. Hier habe ich nur ein halbwegs erschwingliches Hotelzimmer gefunden. Der Regen setzt ein und ich hole mir in einem Restaurant Fish & Chips, die ich beim Fernsehen genüsslich verspeise.
Früh am nächsten Morgen stehe ich vor dem Auto und der Himmel ist immer noch von Wolken bedeckt. Die beiden Herren von gestern hatten wohl recht. Soll ich schlafen gehen oder ohne Aussicht auf einen schönen Morgen losfahren? Ohne Kompromisse steige ich ins Auto, die Sitzheizung auf Maximum. Ich muss gut aufpassen, denn auf dem Weg sehe ich Hirsche und andere Wildtiere, die in der Morgendämmerung aktiv sind. Der Wind weht über die Hochebene und die Seen sind leider nicht spiegelglatt. Ich wandere entlang eines kleinen Bachs und pünktlich zum Sonnenaufgang bricht das Licht durch die Wolken. Yes, mein Versuch wird belohnt. Ich nutze das schöne Licht und schlendere fotografierend durch die Landschaft. In meiner Unaufmerksamkeit stolpere ich über ein Schafskadaver, das anscheinend einmal angefahren wurde. Mir wird fast übel und mein Appetit ist vorerst dahin.
Als ich später im Hotel ankomme, ist die Szene weit weg und ich habe nun Appetit auf das Frühstück. Das schottische Frühstücksbuffet ist nicht gerade gesund und mein Cholesterinspiegel wird wohl heute sein Limit überschreiten. Das Auspacken und Auschecken geht schnell. Die Strassen sind voller Ausflügler, da es ein Feiertag ist, und ich fahre heute in Richtung Glasgow. Ich bin froh, in Drymen anzukommen, aber was mache ich hier in diesem kleinen Ort vor Glasgow? Mehr dazu im nächsten Kapitel.
Devil’s Pulpit
In der Nähe von Drymen befindet sich der Finnich Glen, eine tiefe und tiefgrüne Schlucht mit dem Übernamen Devil’s Pulpit, ein wahres Naturspektakel. Seit die Schlucht in einem Film als Kulisse gedient hat, ist der Ort völlig überlaufen. Die Nacht im Hotel war kurz, bereits um sechs Uhr wage ich mich auf den steilen Weg in die Schlucht. Der Boden ist glatt und die Steine, die als Treppe dienen, sind glitschig. Ich komme heil unten an und sehe zum ersten Mal durch die enge Schlucht – fantastisch! Leider gibt es dort viel Schwemmholz, das einige schöne Perspektiven versperrt. Aber ich nutze die Zeit alleine und wate mit Gummistiefeln die Schlucht entlang. Jetzt wisst ihr, wofür ich sie kürzlich besorgt habe. Der Grund des Canyons ist mit rotem, geschichtetem Stein bedeckt und die Wände sind moosig und grün. Ich halte die märchenhafte Welt mit meiner Kamera fest und klettere erst nach zwei Stunden zurück ans Tageslicht. Oben treffe ich ein älteres Paar, das etwas verdutzt den Abstieg betrachtet. Ich wünsche ihnen einen schönen Tag und mache mich bald auf den Rückweg ins Hotel. Dort geniesse ich ein original schottisches Frühstück und trinke viel Kaffee. Etwas später mache ich mich auf den Weg zum Flughafen.
Es war eine wunderbare Reise mit unterschiedlichen Facetten, die hier endet. Glücklich, unversehrt und gesund im Flugzeug zu sitzen, auf dem Weg zu meinen Liebsten – unbezahlbar. Bis zum nächsten Mal!
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