Mit dem Erstflug von Edelweiss von Zürich direkt nach Kuusamo im hohen Norden Finnlands beginnt die Suche nach dem echten Winter und den Polarlichtern. Der Landeanflug ist heftig, die Turbulenzen schütteln am Flugzeug. Alles um uns herum ist weiss, aber die Wälder wirken karg. Der Schnee auf den Bäumen ist verschwunden – was ist passiert? Dazu komme ich gleich.
Ich übernehme das Mietauto mit Spikes an den Reifen, um auf den eisigen Strassen genügend Grip zu haben. In der Wärme fahre ich nun nach Ruka, meinem Basecamp für die nächste Woche. Eigentlich ist es das Ferienhaus, das meine Eltern für zwei Wochen gemietet haben, aber ich bin spontan als Gast dabei und zwei Tage früher angekommen als sie. Ich habe mich spontan entschieden und meine Familie und die Firma hat zugestimmt, eine Woche ohne mich auszukommen. So fahre ich nun gemütlich mit dem beheizten Lenkrad Ruka entgegen. Leider sind die Bäume um mich herum karg und der Schnee, der sie üblicherweise zu dieser Saison einhüllt, ist verschwunden. Meine Recherche ergibt, dass vor einer Woche Föhn und Wind für Plustemperaturen gesorgt haben und die Winterlandschaft dahinschmolz. Ist der Traum vorbei? Ich lasse mich noch nicht entmutigen, obwohl auch die Vorhersage für das Nordlicht auf ein Minimum gesunken ist.
Riisitunturi Nationalpark – Erster Besuch
Die Blockhütte ist gemütlich und heimelig. Ich geniesse die Zeit alleine und plane die nächsten Tage. Der Wetterbericht ändert sich schnell, das anfänglich schlechte Wetter wird von Stunde zu Stunde besser prognostiziert, innerlich erwärme ich mich nun. Als sogar eine wolkenlose Nacht für den nächsten Tag in der App angezeigt wird, gibt es kein Halten mehr. Am Morgen packe ich meine Sachen und mache mich auf Erkundungstour im Riisitunturi Nationalpark.
Nach einer halben Stunde Fahrt über Landstrassen stehe ich am Tor des Nationalparks, der Parkplatz ist riesig, aber fast leer. Kein Wunder, es ist sehr kalt und der Eisschnee peitscht mit dem Wind ins Gesicht. Gut eingepackt steige ich auf den Gipfel. Nur noch einzelne Bäume tragen eine Schneekruste, die meisten sind kahl und die dunklen Äste ragen hervor. Ich markiere die besten Stellen auf der Karte und kehre einige Stunden später zum Auto zurück.
Zurück in der Hütte wärme ich mich auf, esse etwas und warte auf die Nacht. An Schlaf ist nicht zu denken, zu aufgeregt bin ich und das Adrenalin schiesst durch meinen Körper. Mein Herz rast, ich muss los. Viel zu früh fahre ich erneut zum Riisitunturi. In der eisigen Kälte warte ich und halte mich warm, bis gegen elf Uhr die ersten grünen Lichter erscheinen. Zwar schwach, aber ich freue mich, die Nordlichter bereits in der zweiten Nacht zu sehen. Erst als die Aktivität stark nachlässt, packe ich zusammen und fahre nach Hause. Ich schlafe schlecht, die kosmischen Strahlen halten mich wach, obwohl ich hundemüde bin.
Valtavaara
Am Nachmittag treffen meine Eltern ein und wir planen gemeinsam die nächsten Tage. Wir sind unsicher, wohin es gehen soll. Wie wird das Wetter und wo gibt es noch fotogene Orte? Ist der verschneite Wald, auf Finnisch „tykky“, anderswo? Ich entscheide mich, den örtlichen Hügel Valtavaara alleine zu erkunden.
Der Schnee wirbelt um meine Ohren, fast erfrieren sie ungeschützt. Es ist bitterkalt draussen. Der Aufstieg auf den Valtavaara ist zunächst steil, aber dank der Schneeschuhe habe ich genügend Halt und komme schnell voran. Doch ich schwitze schnell und bin froh, die Hochebene zu erreichen. Die Wanderung führt weiter über einen kleinen See und durch ein Sumpfgebiet, die zum Glück steif und tief gefroren sind. Sobald ich von der Spur abweiche, versinke ich im lockeren Schnee, trotz den Schneeschuhen.
Kurz vor dem letzten Aufstieg passiere ich eine beheizte Schutzhütte. Der Rauch des Birkenholzes duftet herrlich und die Wärme des Feuers ist spürbar. Doch ich will auf den Hügel und dann so schnell wie möglich wieder nach Hause. Es ist nur ein Versuch, herauszufinden, wo die Bäume noch tief verschneit sind. Ich markiere die schönsten Orte auf der Karte.
Zum Mittag bekommen wir Besuch von Bekannten aus Finnland. Esa ist ein ehemaliger Nordlichtforscher, daher bin ich gespannt auf seine Abendprognose. Sie sieht nicht allzu vielversprechend aus, aber auch nicht schlecht.
Um zehn Uhr Abends stehen wir alle zusammen erneut am Fuss des Hügels. Im Hintergrund leuchtet die Skipiste. Der Himmel und die Umgebung sind taghell, heller als bei Vollmond. Es knirscht unter den Schuhen – das ist Winter. Gemächlich steigen wir hinauf, ja nicht zu sehr ins Schwitzen geraten. Ich mache mich an die erste Markierung, und siehe da, ein schwacher grüner Strahl zuckt über den Himmel. Glücklicherweise liegt die Lage in einer Senke, sodass das Licht der Umgebung die Baumspitzen nicht erhellt. Das ist wohl auch der Grund, warum die Bäume noch so schön verschneit sind. Wind- und lichtgeschützt präsentiert sich hier eine wunderschöne Winterlandschaft. Mehr als zwei Stunden warten wir auf stärkere Aktivitäten am Himmel. Ab und zu wird es intensiver, aber den erhofften Sturm erleben wir nicht. Zu Hause gehen wir schlafen, am nächsten Morgen erfahren wir von Esa, dass um 2 Uhr ein wunderschönes Nordlicht zu sehen gewesen wäre. Pech, aber damit muss man umgehen können.
Kuntivaara
Enden eigentlich hier oben alle Hügel mit „Varaa“? Ja, das ist auf Finnisch ein Wort für Hügel oder Berg. Kuntivaara, noch nie davon gehört? Ich auch nicht! Der Zufall will es, dass meine Eltern diesen Hügel ausgesucht haben. Nur mit dem Schneemobil erreichbar und nicht im Fokus jedermanns Interesse. Der Guide und Fotograf Jarmo wartet an seiner Hütte auf uns. Wir setzen die kalten Helme auf und machen uns an diesem Nachmittag mit dem Schneemobil und dem Schlitten auf den steilen Hügel.
Eigentlich hatten wir die Tour aufgrund des Schneemangels storniert, auf Empfehlung des Anbieters. Doch einen Tag vor dem Termin erhalten wir eine weitere E-Mail. Die Bedingungen seien überraschend gut und wir können die Stornierung gerne rückgängig machen. Nach langem Hin und Her entscheiden wir uns dafür und stehen nun auf dem Kuntivaara.
Ganz ehrlich, so ein tolles Licht habe ich selten gesehen. Nebel und Wolken verdecken die Sonne abwechslungsweise. Das diffuse Licht zaubert die schönsten Facetten auf die tief verschneiten Bäume. Laut Jarmo sind die Bäume erst seit gestern wie durch ein Wunder wieder mit einer Eis- und Schneeschicht bedeckt. Zum Glück haben wir uns dazu überreden lassen.
Ich habe kaum Zeit zum Essen, so beeindruckend ist die Landschaft. Kurz vor Sonnenuntergang leuchten die Spitzen der Bäume glutrot, und es wird noch schöner. Die Schleierwolken leuchten rundum in den schönsten Farben. Mit dem letzten Licht fahren wir hinunter, die Hände kalt, das Herz erwärmt. Den Tag lassen wir mit diesem Glück in einem Restaurant ausklingen – ein Hoch auf spontane Entscheidungen.
Riisitunturi Nationalpark – Zweiter Besuch
Angesichts unseres Glücks fordern wir es an diesem Nachmittag erneut heraus. Zurück zum Riisitunturi – zum zweiten Mal. Bei diesem Besuch ist das Wetter besser und der Parkplatz gut besucht. Zuerst noch ohne Schneeschuhe geht es den breit getretenen Pfad hinauf. Doch das Licht ist so gut, dass die Schneeschuhe schnell angezogen sind und die Kamera bereit ist. Nun zieht Nebel auf und umhüllt langsam den Grat. Das wird immer besser. In der eisigen Kälte, bei minus 25°C, verbringen wir die nächsten Stunden draussen. Am Ende scheint das pinke Abendlicht durch den diffusen Nebel. Es ist erstaunlich, so etwas zu erleben. Zufrieden, aber mit unterkühlten Extremitäten, kehren wir nach Hause zurück.
Was ich in den letzten Tagen erleben durfte, übertrifft meine Vorstellungen. Die Flucht vor dem miserablen Winter in der Schweiz hat sich gelohnt. Einzig mit den Nordlichtern bin ich noch nicht zufrieden. Ein Grund mehr, zurückzukehren 🙂