Eigentlich war der Plan, nach einem Soloabenteuer die Familie im Tessin zu treffen. Die Schönwetterplanung ist bei diesem langen Sommer eigentlich sehr einfach. Doch wie schon in den letzten Ferien wird die Aussicht auf gutes Wetter getrübt.
Das Sturmtief Babet bringt in den nächsten Tagen stürmisches und wechselhaftes Wetter. Ausserdem befindet sich die Vegetation in diesem Jahr noch nicht im Herbstmodus, und die Lärchen in den höheren Lagen verfärben sich ein oder zwei Wochen später als üblich.
Wir treffen uns zum Mittagessen in der Stadt, um die Pläne für die nächsten Tage zu konkretisieren. Es ist nicht einfach, aber das Tessin fällt wohl oder übel ins Wasser. Die sonst so sonnige Region wird nun von Regen und Sturm heimgesucht. Statt alleine fahren wir nun mit der Familie ins Aostatal – so schnell können sich Pläne ändern.
Das Auto ist bis obenhin beladen, und wir fahren über den Grossen Sankt Bernhard Pass nach Aosta ins Tal. Von hier aus ist es nicht mehr weit, doch es wird bereits langsam dunkel. Unser Ziel ist das Champorcher, wo wir für ein paar Nächte eine Unterkunft gemietet haben. Nachdem wir uns kurz gestärkt haben, geht es ab ins Bett.
Am nächsten Tag steht die Erkundung der Umgebung an. Das Wetter ist angenehm warm, der Himmel ist bewölkt, und zum Glück regnet es nur ab und zu leicht. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, und die Rollläden der Wohnungen sind heruntergelassen. In der Zwischensaison ist hier nicht mehr viel los. Glücklicherweise finden wir ein kleines Restaurant und gönnen uns einen Kaffee – der Preis ist weit niedriger als bei uns. Nach einem kurzen Kochen gehen wir früh ins Bett, denn morgen wollen wir zu den Seen des Mont Avic Naturparks aufbrechen.
Das Wetter scheint heute auf meiner Seite zu sein, denn beim Kaffeetrinken sehe ich durch das Fenster die Sterne funkeln. Die Sitzheizung ersetzt die fehlende Bettwärme, und ich mache mich auf den Weg zum Parkplatz, dem Ausgangspunkt unserer heutigen Wanderungen. Die Stirnlampe ist am Kopf befestigt, die Schuhe sind fest geschnürt, und ich wandere mit noch müden Muskeln den Berg hinauf. Zuerst führt der Weg durch den Wald, später öffnet sich die Umgebung, und ich wandere im Licht meiner Stirnlampe durch lichtes Lärchengebiet. Viele Lärchen haben bereits ihre Farben verändert, aber es gibt auch noch grüne Exemplare. Hier scheint die Vegetation der Schweiz um einige Tage voraus zu sein. Nach etwas mehr als einer Stunde erreiche ich den Col Du Lac Blanc. Im Dunkeln kann ich die ersten Seen erkennen und muss nun entscheiden, wo ich heute Morgen mein Glück versuchen möchte. Es ist nicht einfach, ohne Vorwissen gute Perspektiven im Dunkeln zu erkennen. So durchstreife ich das Gebiet um den See Lago Vallette. Es geht hinauf über Felsbänder, hinunter zum See und wieder zurück. Ein leichter Wind mit Böen kommt mit dem Tageslicht auf, und im Osten bildet sich ein Wolkenband, das bereits leicht rötlich angeleuchtet wird. Die kleinen Lärchen vor mir wiegen sich im Wind.
Die Seenplatte liegt in einer wunderschönen Bergarena. Die westlichen Berge leuchten in der Dämmerung, und mit zunehmendem Tageslicht intensiviert sich dieses Leuchten. Leider finde ich eine schöne Komposition erst, nachdem das beste Licht vorbei ist. Nun ist es Zeit, zurück zum Auto zu gehen und mit der Familie das Frühstück zu geniessen. Mein gesamtes Kamera-Equipment verstecke ich auf dem Pass in einer kleinen Höhle zwischen den Steinen, die ich dann mit weiteren Steinen tarne. Mein Rucksack ist nun leicht, und so kann ich schnell ins Tal hinabsteigen. Kurz darauf geniesse ich meinen Morgenkaffee in unserer kleinen Unterkunft.
Nach dem Mittagessen machen wir denselben Weg wie heute Morgen mit der Familie, aber das Gepäck mit Kind ist schwerer als das Kamera-Equipment. Ich schleiche mich müde den Berg hinauf, und die Hütte Ristoro Lago Muffè auf halbem Weg ist meine Rettung. Trotz des blauen Himmels und des Sonnenscheins machen wir es uns drinnen gemütlich, da der kräftige Wind ordentlich abkühlt. Nach einem leckeren und preiswerten Cappuccino setzen wir unseren Aufstieg fort. Ein kurzer Mittagsschlaf unter den Lärchen gibt mir neue Kräfte. Leider ziehen langsam Wolkenbänder auf, die ab und zu Schatten werfen und keine gute Abendstimmung versprechen. Dennoch lasse ich mich nicht beirren, schliesslich muss ich auch meine Ausrüstung vom Pass holen. Wir wechseln uns bei der Kinderbetreuung ab, und ich darf alleine losziehen. Das letzte Licht auf der Hochebene taucht die Lärchenlandschaft in ein schönes Licht. Doch etwas später ist dieses schöne Licht vorbei. Ich warte bis zum Schluss, aber es wird nichts mehr aus dem magischen Abend. Ich packe alles zusammen und nutze das letzte Tageslicht für den Rückweg. Ich jogge hinab, denn ich möchte so schnell wie möglich zu Hause sein. Keine 45 Minuten später erreiche ich den Parkplatz und werde abgeholt. Nun steht ein wohlverdientes Abendessen an, nachdem ich viele Kilometer und Höhenmeter in den Beinen habe und definitiv müde bin.
Am nächsten Tag nehmen wir es ruhig und setzen unsere Reise fort. Eigentlich gibt es noch viele Seen zu entdecken, aber das Wetter verschlechtert sich nun. Tiefe Wolken ziehen bereits ins Tal, und der Regen ist nicht mehr weit. Ein paar Stunden später sind wir bereits im Wallis, und das Abenteuer geht weiter.
Leave a reply