Kurz nach dem Mittag starte ich meine Wanderung in der kleinen Walliser Ortschaft. Die Luft ist schwül und heiss, und ich freue mich darauf, endlich an Höhe zu gewinnen, nachdem ich einen langen, flachen Weg hinter mich gelassen habe. Allerdings vermisse ich mit zunehmender Höhe bereits die schattenspendenden Lärchen und Pflanzen. Der Wanderweg führt im Zick-Zack nach oben.
Ich gewinne schnell an Höhe, aber die Hitze und mein Gepäck zehren an meiner Energie. Meine Beine fühlen sich müde an, das gestrige intensive Lauftraining beeinträchtigt meine Kondition. Doch ich bin nicht der Einzige, der sich in die Berge aufmacht. Etwa zwanzig Alpinisten laufen mit mir, die meisten von ihnen beladen mit Seilen und Helmen, um hoch in die Berglandschaft zu gelangen. Alle haben dasselbe Ziel – eine Hütte weiter oben, die leider schon lange ausgebucht ist. Daher habe ich alles Material für ein Biwak dabei und schleppe etwas mehr Gepäck als die Anderen um mich herum.
Der Weg wird nun flacher, doch seitlich fällt er steil ab, und ich kann die Gletscherzunge erkennen. Sie ist mit Geröll und Steinen übersät, und ich erkenne sie nur, weil ich letzten Winter in ihrer Eishöhle war. Aus dem noch sichtbaren Höhlenausgang entspringt ein gewaltiger Fluss. Das warme Wetter lässt die umliegenden Gletscher regelrecht schmelzen.
Mit zunehmender Höhe werden auch die anderen Alpinisten langsam müde. Über das lange Blockfeld folge ich einem jüngeren Bergsteiger, der bei jedem Schritt fast fällt. Allen ist der lange Zustieg zur Hütte anzumerken. Als ich die Hütte endlich erreiche, setze ich meinen Weg noch etwas fort und gehe von dort die Gletschermoräne hinunter. Nun erblicke ich das kleine Seelein, gefüllt mit grünem, milchigem Gletscherwasser.
Ich breite meine Isomatte aus und lege mich in die Sonne. Es wird zunehmend kühler, und ein leichter Wind weht vom Gletscher herauf. Ich bemerke zwei andere Personen, die die Moräne hinuntersteigen. Ich hoffe, dass es entspannte Leute sind, denn ich komme nicht in die Berge, um genervt zu werden. Doch die beiden Westschweizer sind angenehme Ausflügler. Besonders die junge Frau, die sich als Angel Fuchs (www.angelfuchs.com) vorstellt, ist eine interessante Gesprächspartnerin.
Das Abendessen mit Trockenfutter ist schnell zubereitet, aber leider habe ich mein Besteck zuhause vergessen. So esse ich das Chili wie eine Suppe und muss mit den Händen nachhelfen, um das Menü zu verzehren. Der Hunger ist so gross, dass ich danach noch zusätzliche Schokolade verdrücke. Der Tag war anstrengend, und ich stopfe die Kalorien förmlich in mich hinein.
Es wird langsam Abend, und der Wind legt sich. Ich erkunde die Umgebung und laufe dem Gletscherfluss entlang nach oben. Kleine Kaskaden und Wasserfälle wechseln sich ab, und das Wasser beginnt seinen Weg ins Tal, wo es sich zu einem tosenden, blauen Gletscherbach vereinigt.
Im Seelein spiegeln sich nun die umliegenden Berge, einige davon über 4.000 Meter hoch. Ich mache Panoramaaufnahmen, um die ganze Bergarena einzufangen. Es ist einfach beeindruckend hier oben.
Nun lege ich mich endlich hin und versuche zu schlafen. Doch Gedanken kreisen in meinem Kopf, und ich beobachte, wie der Himmel allmählich dunkel wird. Nach und nach zeigen sich immer mehr Sterne, bis schliesslich die Milchstrasse sichtbar wird. Ich warte auf den Moment, wenn das Galaktische Zentrum über den Horizont in der Mitte der Bergarena kommt. Der nächtliche Anblick ist atemberaubend. Aufgrund der Feuchtigkeit im warmen Schlafsack bildet sich Kondenswasser, und ich entscheide mich, den mitgenommenen Biwaksack nicht zu nutzen, um keine zusätzliche Feuchtigkeit zu schaffen. Die Umstände zwingen mich schnell aus dem Schlafsack. Ich sitze am See und beginne mit den Nachtaufnahmen. Der Nachthimmel ist voller Tausender funkelnder Sterne, und die Dunkelheit ist beeindruckend. Angel hat ihr Stativ vergessen, also leihe ich ihr kurz meine Kamera, damit auch sie ihre Fotos machen kann. Die Kälte dringt langsam in meinen Körper ein, und ich muss mich bald wieder hinlegen.
Kurz vor der Dämmerung stehe ich auf. An Schlaf war in dieser Nacht nicht viel zu denken. Die Nässe im warmen Schlafsack hat die Isolierung beeinträchtigt und mich frieren lassen. Über dem Schlafsack hat sich eine dicke Eisschicht gebildet, die ich abschüttle, bevor ich mich aufmache, um neue Bilder zu erstellen.
Die Morgensonne beleuchtet die ersten Bergspitzen, doch in der vergletscherten Umgebung ist es immer noch kühl. Ich räume schnell zusammen und bin um 7:00 Uhr bereit. Ich weiss nicht, wie lange der Abstieg dauern wird, aber ich muss den Bus um 11:30 Uhr erwischen. Ich bin schnell unterwegs und realisiere, dass nach 10:00 Uhr auch noch ein Bus fährt, den ich möglicherweise erreichen kann. Ich beschleunige das Tempo, während es steil bergab geht.
Ich erwische zwar den frühen Bus, doch der Muskelkater am nächsten Tag ist ziemlich heftig. Aber das Gefühl, dort oben gewesen zu sein, ist einfach herrlich.