Endlich wird es Herbst in der Schweiz. Corona ist noch in aller Munde und eigentlich wollte ich längst wieder einmal ins Ausland reisen. Die Pläne habe ich aber bereits im Frühjahr begraben und mich auf eine gute Zeit in der Schweiz eingestellt. Die letzten Jahre war ich oft im Graubünden und im Wallis. So will ich diese Jahr das Tessin unter die Lupe nehmen.
Nach einem Ruhetag in Locarno mit feinem Essen, schlendere ich an der Promenade entlang. Hier ist es noch schön warm und lauschig. Ich frage mich, ob ich meine Pläne für die nöchsten Tage wirklich umsetzen will, es wäre doch hier viel schöner und weniger anstrengend. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, komme ich fast nicht mehr davon los. Schon früh gehe ich Frühstücken und mit einem frühen Bus los ins Maggiatal. Der Bus ist etwas überfüllt, ich fühle mich in Mitten der Pensionären eher jung. Ich habe vermutlich auch den grössten und schwersten Rucksack. Vor mir stehen zwei Hunde, eingepfercht zwischen den Menschen, einer leckt mir ab und zu die Hand ab. Ich bin froh, als ich nach einer Stunde aussteigen kann.
Lago di Sascòla
Nun stehe ich hier, am Ausgangspunkt meiner fünftägigen Reise quer durch die wilden Hänge des Maggiatals, von See zu See. Nach einer kurzen Strecke durch das Dorf Cevio, wird der Pfad steiler. Ich durchquere verschiedene Laubwälder, Kastanien säumen den Weg. Je höher ich komme, umso verlassener sind die Siedlungen am Wegrand. Der Rucksack wiegt schwer, das viele Essen und die Kamera tragen einiges dazu bei. Die Laubwälder lasse ich langsam hinter mir und komme in den Lärchenwald. Die meisten Lärchen sind bereits gelb. Es hat aber noch einige grüne Lärchen. Dieses Jahr bin ich früh dran, aber es scheint sich zu lohnen.
Nach fast vier Stunden und über tausend Höhenmeter komme ich beim See an. Vor mir liegt die kleine Oase „Lago di Sascòla“, die ich bisher nicht gekannt habe. Neben einer Feuerstelle schlage ich das Zelt auf und lege mich erst mal hin. Die Sonne geht schon früh hinter den Horizont, der See liegt in einem ordentlichen Kessel. Es wird kalt und so laufe ich hoch zum Kesselgrat. Weitere hunderte Höhenmeter überwinde ich. Die Beine langsam am Anschlag, das Herz aber von der Schönheit hier oben überwältigt. Der auffrischende Wind macht es nicht einfach, unverwackelte Aufnahmen der filigranen Nadelbäume zu machen. Im Norden seh ich eine Gewitterfront vorbei ziehen, es ist dunkel und wenig Licht bricht durch. Zum Sonnenuntergang kommt die Sonne nochmals kurz durch die Wolkendecke. Nun ist es für mich Zeit zurück zum Schlaflager zu gehen. Noch eine Tüte Trockennahrung zubereiten und ab ins Bett – Die Muskeln brauchen nun etwas Erholung.
Früh ist Tagwacht, aber ich komme nicht so richtig auf die Beine. Der Aufstieg vom Vortag liegt noch ordentlich auf und so begnüge ich mich am See ein paar Morgenfotos zu machen. Nachdem ich das Frost überzogene Zelt ausgeschüttelt und alles Material zusammengeräumt habe, geht die Wanderung weiter zum Lago d’Alzasca.
Lago d’Alzasca
Die Flanken sind noch vereist und ich muss jeden Tritt zuerst testen. Nur langsam komme ich heute Morgen zum Pass hoch. Als ich diesen erreiche, scheint mir die Sonne ins Gesicht – was für eine Wohltat nach der kalten Nacht. Kleider ausziehen und weiter zum nächsten Pass. Langsam erblicke ich mehr und mehr vom Lago d’Alzasca. Der Wind weht recht frisch vom Tal hoch. Irgendwie fehlt mir die Lust ganz zum See runter zu gehen und so schlage ich mein Zelt hier oben auf – Mit grandiosem Blick auf die Bergarena und den tiefblauen See.
Plötzlich stehen zwei junge Damen neben mir. Das Zelt haben Sie unten am See aufgeschlagen. Nach einem kurzen Schwatz machen Sie sich auf zum nahen Berggipfel. Ich bin zu müde und geniesse die letzten Sonnenstrahlen. Heute geht es wieder früh ins Bett, der Körper ist immer noch ausgelaugt vom Vortag.
Zur Morgendämmerung stehe ich neben einer grossen Lärche und Blicke runter auf den See. Die wilde Landschaft ist mit alten und markanten Lärchen gesäumt. Der Nebel unten im Tal haucht der Szene etwas magisches ein. Bald erreicht mich die Morgensonne und wärmt mein Frühstücksplatz. Heute kann ich das Zelt in der Sonne trocknen lassen und es gemütlich nehmen. Am Vortag habe ich mit Yann, einem Freund aus der Outdoorguide-Ausbildung geschrieben. Er ist in der Gegend und so treffen wir uns auf dem Weg zum nächsten See.
Auf der steilen und vermutlich eher unbekannten Strecke sehe ich einige Gämsen, verlassene Alpen und nur zwei Wanderer. Diese Abgeschiedenheit – Ich komme mir frei und glücklich vor.
Lago dei Pozzöi
Es ist Punkt zwölf und Yann steht mit seinem Busli am vereinbarten Treffpunkt. Es tut gut wieder jemand zum Reden um sich zu haben. Wir haben viel zu besprechen und so ist die Fahrt entlang der engen und kurvigen Bergstrecke kurzweilig. Eigentlich bin ich froh, die monotone Zwischenstrecke nicht zu laufen. Weiter habe ich heute bemerkt, dass ich mich bei den Essensvorräten etwas vertan habe und für einen Tag zu wenig gepackt habe – Da bin ich um Nachschub froh :-).
Auf dem Parkplatz ist grosse Auslegeordnung angesagt, hier wird bestimmt wer was mit nimmt. Für uns ist es das erste Mal, dass wir zusammen ein Trekking machen. So braucht es ein wenig mehr Absprache als sonst, aber wir sind darin mittlerweile gut ausgebildet. Nach einem kurzen Snack geht es los. Zuerst über die herbstlichen Felder, runter zum Fluss, entlang an einer kanadischen Flusslandschaft und dann steil durch den Gegenhang hoch. Den Wald lassen wir hinter uns und vor uns öffnet sich die Weite der Alp. Dahinter farbige Lärchenwälder und schroffe Berge. Ein Traumtag mit viel Gepäck am Rücken. Die letzte Etappe führt durch einen traumhaften Lärchenwald bis wir endlich vor dem Lago di Pozzöi stehen.
Es ist windstill, die letzten Sonnenstrahlen beleuchten die Lärchen um den See. Für mich einer der schönsten Seen im Tessin. Wir finden schnell einen Standort für unserer zwei kleinen Zelte. Hier hat bereits jemand Steine zur Sitzgelegenheiten aufgetürmt, perfekt für die Kochecke. Wenn ich schon vom Kochen spreche, langsam haben wir hunger. Wir machen Hörnli und ich vergreife mich im Salzen. So haben wir am Schluss suppige Teigwaren mit einem Überschuss an Salz in einer Pestosauce. Nicht unsere Glanzleistung, aber es stillt den Hunger unheimlich. Vielleicht war ich mir beim Salzen insgeheim bewusst, dass ich die Elektrolyte nachfüllen sollte. Endlich ist es soweit, Yann packt die Bialetti Kanne aus und giesst frischen Kaffe auf. Nach mehreren Tagen Kaffeeverzicht für mich ein Geschenk. Ich öffne eine Packung Schoko Brownie – So lässt es sich draussen geniessen.
Zum Sonnenuntergang gehen wir ein paar Bilder hinten am den Seen machen. Yann ist zum Glück auch ein wenig Foto Begeistert, obwohl wir die Leidenschaft etwas anders ausführen. Wir haben dabei ordentlich Spass uns erst als es recht dunkel ist, verkriechen wir uns im Zelt.
Bereits früh stehen wir wieder am See und warten auf die ersten Sonnenstrahlen, welche genau zwischen den zwei Bergen hoch kommen. Für mich mittlerweile ein sehr spiritueller Moment, wenn die Sonne den kühlen Körper von aussen mit ihrer Wärme berührt.
Nun die Situation nicht ungenutzt lassen, ich muss die Chance auf Kaffee so lange wie möglich nutzen. So steht die Kanne erneut auf dem Kocher und wir füllen dazu unsere Bäuche.
Lago di Sfii
Wir nehmen einen mir unbekannten Weg hinab zur Alp. Die Route verläuft mal am Weg entlang, mal improvisiert, weil wir vor lauter quatschen vom Weg abkommen. Die Sonne scheint und es ist ein wunderbarer Herbsttag. Die Strecke über den Fluss ist gemäss dem Wanderplaner gesperrt. Nun sehen wir, dass die massive Stahl-Brücke weggeschwemmt wurde. Zum Glück ist der Fluss heute nur ein Rinnsal und so durchqueren wir diesen im Nu. Es geht nun steil auf der Gegenflanke hoch, die Steine auf dem Weg sind noch mit Frost bedeckt und leicht glitschig. Nach etwas mehr als einer Stunde erreichen wir den See – Boah was für ein Anblick. Smaragd Grün und mit goldenen Lärchen gesäumt. Ein absoluter Traumsee in der schönsten Jahreszeit. Wir machen es uns gemütlich und brühen einen frischen Kaffee. Ich bin schon froh ist Yann und seinem Bialetti dabei, sonst gäbe es einige Tage mehr ohne den geliebten Kaffee… Die letzte Scheibe Brot und Käse wird verzehrt, zusammen geniessen wir die herrliche Umgebung. Nun zieht Yann weiter und fährt heute zurück nach Hause. Ich bleibe noch zwei Nächte hier am See.
Ich mache mit Andy Bekanntschaft, ein Weltenbummler und Outdoorfreak. Er ist einer der wenigen Personen die heute an den See gewandert sind. Spannende Gespräche und ein wenig fachsimpeln, nun muss ich aber langsam los. Ich will hoch auf den Pass und die Umgebung erkunden. Ein einfacher blau-weisser Wanderweg, der noch nicht kartiert ist, führt mich auf den Pass. Oben angekommen kann ich es kaum glauben, was für eine Aussicht man hier oben hat. Ab und zu taucht ein Steinadler auf und dreht seine Runden in der Thermik. Ich kraxle im weglosen Terrain weiter nach oben um eine bessere Sicht auf den See zu bekommen.
Nach und nach ziehen von Osten Schleierwolken auf. Der Sonnenuntergang ist erst in zwei Stunden, ich hoffe dass die Sonne dann eine lichte Stelle zwischen den Wolken finden wird. Ich gebe die Hoffnung bereits auf, als sich der Himmel zum Sonnenuntergang zu verfärben beginnt. Mehr Wolken werden beleuchtet und in sanfte orange Farbtöne getaucht. Vor mir ein wunderbares Abendrot – Was will man hier mehr? Ich denke bereits an den Sonnenaufgang und gehe runter zum Zelt. In aller Frühe stehe ich wieder vor dem Zelt. Alles ist gefroren, das Zelt ist mit einer dicken Frostschicht bedeckt. Ich brauche eine Zeit bis der noch schlafende Körper eine angenehme Temperatur erreicht und muss aufpassen, dass ich nicht gleich zu fest schwitze. Steil geht es wider nach oben, die Puste geht mir in diesen frühen Morgenstunden fast aus.
Wie meist etwas zu früh oben angekommen, da ich es kaum erwarten kann und so schneller unterwegs bin, zeichnet sich die Dämmerung ab. Als die Sonne die ersten Berge erreicht, ist es windstill und einfach nur traumhaft hier oben zwischen den goldenen Lärchen.
Ich steige heute wieder zur Alp ab und warte auf meine Begleitung fürs Wochenende. Sina kommt mich besuchen und hat eines unserer neuen Packrafts mit sich. Boah, bin ich gespannt 🙂 Ein lang erwartetes Wiedersehen und wir laufen zusammen hoch. Der Weg ist noch gefroren und die Umgebung im Schatten kühl. Oben am See angekommen reicht die Zeit heute leider nicht, das Packraft auszuprobieren. Wir vertagen das Vorhaben auf Morgen.
Heuet ist uns kochen und gutes Essen wichtiger. Gnocchi mit allem drum und dran steht auf dem Menüplan, vorher aber noch ein Apero mit ein wenig Wein. Es ist ein Hochgenuss an der Sonne inmitten dieser Szenerie. Nach dem Dessert gehen wir bald ins Zelt schlafen. Draussen ist es frisch geworden und wir sind müde vom langen Tag.
Kurz nach dem Morgenessen steht der Test des neuen Anfibio Rebel 2K Packrafts an. Boot aufblasen, Paddel zusammen klicken und los geht der Spass. Der tiefe See ist ideal für die Probefahrt. Abwechslungsweise flitzen wir über den ruhigen See und betrachten das Ufer aus neuen Perspektiven. Die eingebaute Spritzdecke schützt uns vor dem kalten Wasser. Das Boot fühlt sich extrem stabil an und wir haben schnell vertrauen aufgebaut. Uns eröffnen sich ab heute ganz neue Wege für die Zukunft.
Gegen Mittag ist es Zeit das Abenteuer hier oben zu beenden und nach Hause zu fahren. Nach einem Nachtessen in einem Grotto durchfahren wir den Gotthard und sind wenig später auf der Alpennordseite wieder Zuhause. Eine einzigartige und schöne Woche in der Wildnis des Tessins, von See zu See, geht zu Ende.
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