Diesen Herbst geht die Reise für einmal ins Tessin. Im Vorfeld war ich auf der Suche nach kleinen Bergseen, die mit Lärchen gesäumt sind. Ich habe dabei einige gefunden und eine Liste mit möglichen Zielen erstellt. Die Reisezeit um Mitte Oktober scheint dieses Jahr ideal zu sein. Die Lärchen ab einer Höhe von 2’000 m.ü.M sind bereits verfärbt. Das Wetter ist aktuell nicht sehr stabil, Hoch- und Tiefdruckgebiete wechseln sich alle paar Tage ab, dennoch fahren wir beim ersten Schönwetterfenster in den Süden.
Lago d’Efra
Die erste Wanderung führt uns heute von Frasco im Val Verzasca hoch zur Capanna Efra. Der tiefblaue See Lago d’Efra liegt unterhalb in einem Felskessel, umgeben von wenigen Lärchen. Bis kurz vor Ankunft habe ich mich nicht gross um die Wanderung gekümmert. Nach dem Check des Wander-Apps sind wir überrascht. Heute wandern wir voraussichtlich vier Sunden und überwinden mehr als tausend zweihundert Höhenmeter. Für den Start nicht schlecht. Der Beginn führt leicht steigend durchs Val d’Efra, vorbei an verlassenen Steinhäusern und Wasserfällen. Im Zick-Zack geht es steil hoch auf die Alpe dell Efra. Endlich kommen wir dem See näher, die Energie lässt nach. Wir rasten am See und essen was Kleines. Vom See aus ist es nochmals eine halbe Stunde bis zur kleinen Steinhütte. Die Selbstversorger Hütte liegt an der Via Alta della Verzasca. Hoch über dem Val Verzasca führt die blau-weisse Route über schwindelerregende Bergkämme. Die Saison ist zwar langsam vorüber, noch ein paar wenige Wanderer sind unterwegs um in der Hütte übernachten.
Kurz nach dem Nachtessen gehe ich nochmals ein Stück nach unten zum See um die Abendstimmung fotografieren. Nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, wir es spürbar kälter. Am nächsten Morgen ist es noch kälter. Das gefrorene Gras und die blanken Steine sind rutschig. Ich nehme bei der ersten Gelegenheit einen ungewollten Abflug den Hang runter. Zum Glück ist nichts passiert, ein paar Schrammen an den Armen bleiben zurück. Ich harre in der Morgenkälte aus, bis die ersten Sonnenstrahlen die Berge vor mir erreichen. Nun ab in die warme Stube zum Morgenessen.
Der Rucksack liegt gepackt bereit, wir machen uns via Höhenweg auf zurück ins Tal. Der Schluss hat es wie beim Aufstieg in sich, über tausend zweihundert Höhenmeter geht es auf kurzer Distanz runter. Die Beine leiden am meisten unter dem Gewicht des schweren Rucksacks. Unten angekommen gehen wir zur Belohnung nach Sonogno in eine Grotto Mittagessen. Die hausgemachten Gnocchi munden nach dieser Anstrengung.
Laghetto dei Saléi
Die Fahrt geht von Locarno über das Onsernone Tal bis zuhinterst ins Valle die Vergeletto. Die enge und kurvenreiche Strasse ist meist nur einspurig befahrbar und unübersichtlich. Es ist eine anstrengend Fahrt, die volle Aufmerksamkeit bedingt. Psychisch durch die abenteuerliche Fahrt am Ende, nehmen wir die kleine Gondel, die uns direkt auf die Alpe Saléi bringt. Von hier ist es noch fünf Minuten bis zur Hütte. Wir sind froh, dass es heute nicht mehr weiter ist, die Strapazen des heutigen Abstieges machen sich langsam bemerkbar.
Gian-Luca und seine Frau Ilenia begrüssen uns herzlichst in der kleinen gemütlichen Hütte. Vor dem Nachtessen eilen wir noch kurz zum See hoch. Auf dem Weg nach oben haben wir zwischen den Lärchen immer wieder freie Sicht. Es ist eine wahnsinnige Aussicht, die wir hier oben auf die Hügel und Täler des Valle Onsernone haben. Ich komme zum See, umgeben von gelben Lärchen, es ist ein wahrere Traum hier. Nun müssen wir schleunigst zurück, das Nachtessen wartet. Die herzhaft angerichteten Speisen sind lecker, die gebratene Polenta mit Käse überbacken und zum Dessert Orangecheescake. Wir sind im kulinarischen Himmel. Den Tisch teilen wir uns mit einem Ehepaar aus Winterthur. Im Gespräch erfahre ich, dass die Tessiner die Seen „die Augen der Berge“ nennen „Gli occhi delle montagne“. Wunderschön, ein geeigneter Titel für diesen Blogbeitrag.
Die Nacht ist kurz, vor der Dämmerung mache ich mich auf den Weg zum See. Der Himmel ist nicht mehr klar wie in den letzten Tagen, im Tal liegt viel Dunst. Das könnte heute eine tolle Morgenstimmung geben? Und ja, nach und nach färben sich die wenigen Wolken im Morgenlicht. Ein toller Morgen, der See spiegelglatt, sodass sich die goldenen Lärchen darin spiegeln. Nun schnell zurück zum Morgenessen.
Bevor wir runter ins Tal gehen, nehmen wir den kurzen Aufstieg zum Pizzo Zucchero in Angriff. Ich will meinen schweren Rucksack irgendwo in der Nähe der Bahn deponieren. Da hat es aber dieses Schild „Bandita di caccia“. Für uns Laien im Italenisch frei interpretiert könnte das „Vorsicht vor Diebesbanden“ heissen. Hier, nahe an der Grenze, macht die Übersetzung für uns Sin. Auf dem Nufenenpass in Grenznähe hat es dieselben Schilder. Wir verstecken den Rucksack nun ganz gut, zurück bleibt ein mulmiges Gefühl. Erst als wir im Bereich vom Mobilempfang sind, übersetze ich dies – „Jagdbanngebiet“. Wir krümmen uns vor Lachen und gehen beruhigt weiter, heute klaut uns niemand unserer Rucksäcke.
Morgendämmerung am Laghetto dei Saléi
Sonnenaufgang zwischen den Lärchen am See
Blick ins Tal mit Lärchenspiegelung im See
Blick durch die Lärchen ins Valle Onsernone
Blick vom Pizzo Zucchero ins Valle Onsernone
Lago dei Pozzöi
Christine geht nach Hause und ich ziehe alleine weiter. Das Wetter zeigt in den nächsten Tagen eine Verschlechterung an. Ich muss mich entscheiden, welcher der ausgesuchten Seen ich besuchen will. Ich entscheide mich für den Lago dei Pozzöi, der hinten im Valle di Campo liegt. Die kurvenvolle Strasse ist nicht viel befahren und ich kann die Fahrt geniessen. Vorbei an kleinen Dörfern, farbigen Herbstwiesen bis nach Cimalmotto. Hier lasse ich das Auto stehen und gehe zu Fuss weiter. Heute ist es nochmals richtig warm und ich komme ordentlich ins Schwitzen. Nach den letzten Tagen fühlt sich der Rucksack mit dem Zelt schwer an, ich kämpfe mich hoch. Den letzten Kilometer geht es nochmals steil einen schmalen Pfad hoch, bis ich endlich den See erreiche. Das letzte Licht leuchtet an die goldenen Lärchen, schnell noch ein paar Fotos nehmen und dann den Zeltplatz suchen.
Die Abendstimmung geniesse ich, das tief einfallende Licht erleuchtet die Berge hinter dem See. Bis zur blauen Stunde harre ich im Steinfeld aus. Nun muss ich etwas essen, dehnen und ab in den warmen Schlafsack.
Der Morgen bricht an, es ist saukalt und ich öffne vorsichtig das Zelt und schaue nach draussen. Das Kondenswasser hat das Zelt in einen gefrorenen Palast verwandelt. Der Himmel ist noch klar, gemäss Meteo kommen bald Wolken auf. Erneut gehe ich ins Steinfeld und warte auf das gewünschte Licht. Zwischen den zwei markanten Bergen soll die Sonne heute aufgehen. Ich warte und derweil bilden sich an den Berghängen mehr und mehr Wolken. Das Feld um den genannten Punkt wird kleiner. Ich gebe die Hoffnung beinahe auf, als für wenige Sekunden die Sonne schwach hervorleuchtet. Wow, was für ein Glück den Auslöser noch gedrückt zu haben, die Sonne verschwindet hinter den Wolken.
Für mich ist es Zeit einen neuen Plan zu schmieden und zu entscheiden, wie es weiter geht. Ich fahre ins Wallis. Hier geht das Abenteuer weiter, dazu mehr im nächsten Blogbeitrag.
Letztes Sonnenlicht am Lago dei Pozzöi
Dämmerungslicht in der Blauen Stunde
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Tolle Bilder Christoph!!! Danke für alle die guten Tipps, dein Scouting und das Teilen!
Merci Sabine, sehr gerne geschehen.
Sie machen ganz wunderbare Fotos und toll beschrieben! Mit der Beschreibungen der Orte nehmen Sie die Betrachter mit auf die Reise. Weiter so!
Hallo
Vielen Dank für die schöne Rückmeldung 🙂
Beste Grüsse
Christoph